I. Abgaben
17 Stromgebühren. - Der Einzug verfallener Stromgebühren durch Erhöhung des Tarifs für den aktuellen Strombezug ist bundesrechtswidrig.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 23. Oktober 2007 in Sachen Einwohnergemeinde R. gegen Schätzungskommission nach Baugesetz und K.B. (WBE.2007.160).
Aus den Erwägungen
1. Zur Beurteilung steht vorliegend allein, ob die vom Gemein-
derat R. angeordnete Erhöhung des Münzzähler-Tarifs über den ge-
wöhnlichen Bezugspreis hinaus zur Tilgung offener Stromrechnun-
gen zu Recht erfolgte. Dies hängt davon ab, ob die dafür angerufene
Grundlage von Art 12.1 des Elektra-Reglements der Gemeinde R.
rechtmässig ist gegen höherrangiges Recht verstösst.
2./2.1. Art 12.1 Elektra-Reglement lautet wie folgt (Hervorhe-
bung beigefügt):
"Die Rechnungsstellung an die Bezüger erfolgt in regelmässi-
gen, von der ER (sc. Elektra der Gemeinde R.) bestimmten Zeitab-
ständen. Die ER behält sich vor, zwischen den Zählerablesungen
Teilrechnungen im Rahmen des voraussichtlichen Bezuges zu stel-
len. Die ER ist berechtigt, Vorauszahlungen Sicherstellungen zu
verlangen, Zahlautomaten einzubauen wöchentlich Rechnung
zu stellen. Zahlautomaten können von der ER so eingestellt werden,
dass ein Teil des einzugebenden Betrages zur Tilgung bestehender
Forderungen aus Strombezug verwendet wird. Die Kosten für Ein-
und Ausbau sowie für zusätzliche Aufwendungen gehen zu Lasten
des Kunden."
2.2. Nach § 2 Abs. 2 VRPG sind die Erlasse der Gemeinden, öf-
fentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten für die Behörden
nur insoweit verbindlich, als sie dem eidgenössischen und kantona-
len Recht entsprechen. Mit dieser Bestimmung wird die Verpflich-
tung der kantonalen (und Gemeinde-) Behörden statuiert, Gemeinde-
erlasse im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens inzident zu überprü-
fen. Die inzidente Normenkontrolle besteht in der vorfrageweisen
Überprüfung eines anzuwendenden generellen Rechtsatzes unterer
Stufe im Zusammenhang mit einem konkreten Rechtsanwendungsakt
auf die Übereinstimmung mit Normen höherer Stufe. Widerspricht
die geprüfte Bestimmung einer massgeblichen höheren Norm, so
wird sie nicht aufgehoben, sondern es ist ihr im konkreten Einzelfall
die Anwendung zu versagen (§ 95 Abs. 2 KV; AGVE 2002, S. 164 f.
mit Hinweisen).
2.3. Nach Art. 38 SchKG sind Zwangsvollstreckungen, die auf
eine Geldzahlung (oder eine Sicherheitsleistung) gerichtet sind, auf
dem Wege der Schuldbetreibung durchzuführen. Auch wenn es diese
Bestimmung nicht mit der wünschbaren Deutlichkeit zum Ausdruck
bringt, ist in Rechtsprechung und Lehre unbestritten, dass das
SchKG die Vollstreckung von Ansprüchen auf Geldzahlung - vorbe-
hältlich der vorliegend nicht einschlägigen Ausnahmen in Art. 30, 44
und 45 SchKG - abschliessend regelt und zwar gleichgültig, ob sie
ihren Rechtsgrund im privaten öffentlichen Recht haben
(BGE 125 V 328 f.; Häfelin/Müller/Uhlmann, Grundriss des Allge-
meinen Verwaltungsrechts, 5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006,
Rz. 1152; Domenico Acocella, in: Basler Kommentar, SchKG I, Ba-
sel 1998, Art. 38 N 4, 7, je mit Hinweisen; Kurt Amonn/Fridolin
Walther, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts,
7. Aufl., Bern 2003, S. 3, 58). Ein kantonales Vollstreckungsverfah-
ren zur Eintreibung einer Geldzahlung ist in diesem Bereich ausge-
schlossen (BGE 86 II 295; 85 II 196). Entsprechend sieht § 75
VRPG ausdrücklich vor, dass auf Geldzahlung Sicherheits-
leistung lautende Verfügungen und Entscheide nach den Vorschriften
des SchKG vollstreckt werden.
Die Beschwerdeführerin hat es trotz entsprechender Aufforde-
rung unterlassen, zu dieser Problematik Stellung zu nehmen, und be-
gnügt sich damit, auf ihre Praxis und diejenige anderer Gemeinden
bzw. die für die AEW Energie AG geltende Regelung (Art. 3.4.2 des
Reglements des Verwaltungsrats AEW über die Lieferung elektri-
scher Energie aus dem Niederspannungsnetz des Aargauischen
Elektrizitätswerkes vom 23. März 1994 [SAR 773.533]) hinzuwei-
sen. Dass eine (rechtswidrige) kommunale Praxis das Regle-
ment einer Elektrizitätsgesellschaft, selbst wenn der Kanton daran
beteiligt ist und sie einen Leistungsauftrag zu erfüllen hat, höher-
rangigem Bundesrecht zu weichen hat, bedarf keiner weiteren Erör-
terung. Eine solche Praxis hätte ganz im Gegenteil eine im SchKG
nicht vorgesehene Privilegierung der Elektrizitätsgesellschaften ge-
genüber anderen Gläubigern zur Folge, da sie ohne vorgängige
Durchführung des Betreibungsverfahrens (Art. 67 ff. SchKG), bzw.
im Falle eines Konkurses im Widerspruch zu Art. 219 SchKG, vor
den anderen Gläubigern Befriedigung erlangen könnten. Soweit die
Regelung in Art. 12.1 Elektra-Reglement Bundesrecht widerspricht,
ist der Argumentation der Minderheit der Schätzungskommission,
dass selbst weitergehende Sanktionen, bis hin zur Verweigerung von
Stromlieferungen, zulässig seien, von vornherein der Boden entzo-
gen.
3. Art. 12.1 Elektra-Reglement widerspricht damit dem überge-
ordneten Bundesrecht, soweit er über den gewöhnlichen Bezugspreis
hinaus zwecks Tilgung bestehender Schulden aus Strombezug die
Möglichkeit der Erhöhung der Stromgebühren vorsieht. Die Verfü-
gung des Gemeinderates vom 23. Oktober 2006 entbehrt damit einer
gültigen gesetzlichen Grundlage und wurde deshalb von der Vorin-
stanz zu Recht aufgehoben. Dies führt zur Abweisung der Be-
schwerde.